Der digitale Wandel und ein Blick auf die Realität

Es besteht eine Aussage, die behauptet, wir in Mittel-Europa lägen im Vergleich zu den USA beim technologischen Wandel in der Digitalisierung ca. 5 Jahre zurück. Als ich 2015 von Deutschland nach Österreich gezogen bin, war ich auch durchaus der Auffassung, dass Österreich sogar noch weiter zurück liegt, angeblich 10 Jahre. Dieses Gerücht hat sich allerdings in den letzten Monaten teilweise entkräftet.

Als ich vor kurzem zur Digital-Konferenz NEXT nach Hamburg reiste, wurde mir schlagartig bewusst, wie (1) schlecht das Mobilfunknetz ist, insbesondere in S- und U-Bahnen (von ICEs mal ganz zu schweigen) und (2) wie langsam W-LAN Verbindungen zum Beispiel in Hotels oder den Veranstaltungsräumen waren. Selbst einem deutschen Bekannten ist bei einer Zugreise in Tschechien die durchgängig verfügbare Online-Verbindung positiv aufgefallen.

In Österreich gibt es eine „Agenda 2020„, die es zum Ziel hat, den Glasfaser-Ausbau in Österreich flächendeckend abzuschließen. Zudem sind freies W-LAN und mehr oder weniger flächendeckendes Mobilfunknetz bereits überall in der Alpen-Republik vorhanden. Was also die technischen Grundvoraussetzungen für stabiles und gut verfügbares Netz angeht, liegt Österreich eindeutig vor Deutschland.

Betrachtet man nun die Otto-Normalverbraucher, die das schnelle Netz verwenden sollen, stellen sich allerdings in beiden Ländern ähnlich lethargische Zustände dar. Ich halte einen Kurs zum Thema Online- und Social Media Marketing am WIFI Niederösterreich, der meist recht gut besucht ist und den Teilnehmenden aufzeigen soll, wie sie ihre Social Media Kanäle mit interessantem Inhalt füttern. Allein im vergangenen Jahr hat sich in der Social Media Landschaft einiges getan und eigentlich müsste ich meinen Teilnehmenden erklären, dass Facebook im Grunde schon wieder auf dem absteigenden Ast sitzt und sie die jüngere Zielgruppe dort gar nicht mehr erreichen. Auf einmal werden Medien und Apps relevant, die es vor 5 Jahren noch gar nicht gab. Jetzt hat sich Otto-Normal-User gerade dazu bewegen lassen, endlich mal was in Social Media zu tun, und schwupps ist alles, was er in den letzten Jahren an Informationen erhalten hat, irrelevant.

Beim „Tag der Wissenschaft“ an der Hamburger Universität, der insgesamt sehr interessant gestaltet war, merkte man allerdings auch, dass abgesehen von Robotern und Internet-of-Things kaum an Digitalisierung zu denken war. Die Studenten, die einen aktiven Workshop mit Kindern zum Thema App-Prototyping hielten, waren geradezu überfordert mit dem Ansturm. Das Interesse bei den Kindern scheint zumindest da zu sein! Anders sieht es bei den Erwachsenen aus, für die ich ebenfalls am WIFI Niederösterreich einen App-Prototyping Kurs anbiete, der bisher nur spärliche Anmeldungen erhält.

Ähnlich un-digital begegnete mir auch die Intermot 2018 in Köln – meine Erwartungshaltung war durchaus mehr technologische Entwicklungen im Motorradbereich zu sehen, die vielleicht schon in der Pipeline für die nächsten Jahre anstehen. Insbesondere in der Kommunikationstechnik und Navigation hatte ich mir erhofft, mehr Digitales zu entdecken.

Der Gedanke, dass Digitalisierung mehr ist als flächendeckendes Netz und die reine Infrastruktur, scheint zumindest in den Köpfen der Bevölkerungen in Deutschland und Österreich noch nicht angekommen zu sein. Der technologische Wandel, die veränderten Möglichkeiten Prozesse zu optimieren, zu digitalisieren sind bisher nur Randerscheinungen. Das zeigt sich schon allein dadurch, dass es für die Online Branche (Web-Design und -Development, App-Development, Social Media Marketing etc.) keine eigene Berufsfachgruppe gibt. Stattdessen werden IT-ler mit Unternehmensberatern in einen Topf geworfen – weiß Gott warum… – und derweil gibt es in Deutschland große Flächen, wo Funklöcher und fehlende Internet-Anbindungen zum Problem werden.

Trotzdem erscheint es mir so, als ob Österreich aufholt und den digitalen Wandel zumindest langsam angeht. Es gibt zumindest eine Anzahl Initiativen und Veranstaltungen, die sich internationale Fortschritte zum Vorbild nehmen, um selbst etwas zu schaffen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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